Zur Förderung des Radverkehrs und zu einer Verbesserung der Wohn- und Aufenthaltsqualität wurden seit 2021 Umgestaltungsmaßnahmen im Oeder Weg, Frankfurt am Main, durchgeführt. Am 25. April 2024 haben Wissenschaftler*innen der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS), die die Umsetzungen von Mai 2022 bis April 2024 begleiteten und analysierten, gemeinsam mit Vertreter*innen der Stadt Frankfurt am Main die Ergebnisse vorgestellt.
Die anfangs gesteckten Ziele wurden erreicht, insbesondere ist der Kfz-Verkehr zurückgegangen, die Zahl der Fahrräder ist dagegen angestiegen, die Unfallzahlen sind verringert und die Aufenthaltsqualität ist gestiegen. Die Wissenschaftler*innen ziehen ein positives Fazit und empfehlen eine Verstetigung der infrastrukturellen Maßnahmen ebenso wie eine aktive Einbindung der Anwohner*innen und Gewerbetreibenden in die weitere Gestaltung vor Ort.
Im Projekt „Analyse zu den Auswirkungen von fahrradfreundlichen Nebenstraßen“ werden Umgestaltungsmaßnahmen am Beispiel des Oeder Wegs, des Grüneburgwegs und der Achse Kettenhofweg/Robert-Mayer-Straße untersucht. Die Maßnahmen sind Teil des „Fahrradstadt-Beschlusses“ der Stadt Frankfurt am Main von 2019. Die detaillierten Projektergebnisse sind unter www.relut.de nachzulesen.
„Ein Hauptziel der Umgestaltung war, den motorisierten Durchgangsverkehr im Oeder Weg zu reduzieren. Wo vorher etwa 9.000 Kraftfahrzeuge und 2.000 Fahrräder am Tag unterwegs waren, sind es nun jeweils ca. 4.000. Diese Zahlen verdeutlichen die erfolgreiche Verkehrsberuhigung“, so Projektleiter Prof. Dr. Dennis Knese, Professor für nachhaltige Mobilität und Radverkehr an der Frankfurt UAS. Die wissenschaftliche Begleitung umfasste u.a. Verkehrsbeobachtungen, Unfallanalysen, die Auswertung von Verkehrszählungen, Parksuchzeitermittlungen, mehrstufige quantitative Befragungen und Tiefeninterviews mit Gewerbetreibenden. „Mobilität und Logistik in urbanen Kontexten neu und effizient zu organisieren, ist eine der drängendsten Herausforderungen der nahen Zukunft. Unsere Wissenschaftler*innen fungieren in zahlreichen Projekten der Stadt Frankfurt als innovative Forschungs- und Entwicklungspartner*innen“, sagt Prof. Dr. Susanne Rägle, Vizepräsidentin für Forschung, Transfer und Internationalisierung der Frankfurt UAS.
„Die Forschungsergebnisse zeigen, dass wir keineswegs nur für eine sportliche, fahrradbegeisterte Minderheit planen“, so Mobilitätsdezernent Wolfgang Siefert. „Denn zu einer zügigen Verkehrsberuhigung im Oeder Weg haben zahlreiche Bürger*innen in Frankfurt selbst aktiv beigetragen.“
Radverkehrszahlen verdoppelt
Die Verkehrszählungen zeigen, dass sich die Zahl der Kraftfahrzeuge im Vergleich zur Vorher-Situation um mehr als die Hälfte reduziert hat. Zum Teil fanden Verlagerungen auf einzelne Seitenstraßen statt, sodass die Stadt weitere Anpassungen vorgenommen hat, z. B. die Einführung weiterer Diagonalfilter, die nur Fahrräder und Fußgänger*innen durchlassen. Im gesamten Quartier sind weniger Fahrzeuge unterwegs und ein Großteil dieser hat sich auf die Hauptverkehrsstraßen verlagert. Dagegen haben sich die Radverkehrszahlen im Oeder Weg stellenweise mehr als verdoppelt. Diese Veränderungen zeigen sich auch in der quantitativen Befragung von 2023: Von den fast 2.000 Befragten haben 44 % ihr Mobilitätsverhalten nach der Umgestaltung angepasst, 69 % fahren mehr Fahrrad, 55 % sind häufiger zu Fuß unterwegs und 51 % nutzen seltener das Auto. „Auto- und Radfahren muss also kein Widerspruch sein“, konstatiert Wolfgang Siefert. „Auch Autobesitzer*innen steigen gerne aufs Rad um oder gehen zu Fuß, wenn die Infrastruktur entsprechend attraktiv, komfortabel und sicher gestaltet ist.“
Weniger Unfälle verzeichnet
Auch die Verkehrssicherheit hat sich verbessert – sowohl subjektiv in den Augen der Befragten als auch objektiv anhand der Unfallzahlen im Untersuchungsgebiet. Letztere haben sich mit 47 Unfällen im Jahr 2023 bezogen auf das Jahr 2019 (87 Unfälle) fast halbiert. Erfreulich ist zudem, dass Unfälle mit Radfahrenden trotz einer deutlichen Zunahme des Radverkehrs leicht abgenommen haben. Im Jahr 2023 wurden zudem keine Unfälle unter der Beteiligung von Fußgänger*innen statistisch erfasst. Aus Sicht der Befragten wirken sich insbesondere die sog. Gehwegnasen (erweiterte Seitenräume), die Sicherheitstrennstreifen zwischen Fahrbahn und parkenden Autos, die Rotmarkierung an den Kreuzungen sowie eine insgesamt übersichtlichere Aufteilung des Straßenraums positiv auf das Sicherheitsgefühl aus.
Gestiegene Aufenthaltsqualität am Oeder Weg
In der ersten Befragung 2022 und der zweiten Befragung 2023 hat die Steigerung der Aufenthaltsqualität die höchsten Zustimmungswerte erreicht – übereinstimmend über alle Gruppen hinweg. Dazu tragen die neu eingerichteten Multifunktionsflächen, die Sitzgelegenheiten und Grünelemente im Seitenraum, mehr Außengastronomie sowie die Reduzierung des Verkehrslärms bei. Die umstrittenste Maßnahme ist der 2023 installierte Diagonalfilter in der Cronstettenstraße. 45 % der Befragten, die die Maßnahme wahrgenommen haben, sehen in ihr eine Ursache für eine schlechtere Erreichbarkeit ihres Zielortes. Bei den Bewohner*innen im direkten Umfeld der Maßnahme liegt der Wert sogar bei 69 %.
Kaum Änderungen bei den Gewerbebetrieben
Von den jeweils 50 bis 60 teilnehmenden Gewerbebetrieben am Oeder Weg berichten bei den quantitativen Befragungen wie auch den Tiefeninterviews ca. zwei Drittel über keine nennenswerten Änderungen hinsichtlich ihrer Geschäftszahlen. Zehn bis 15 Gewerbetreibende beklagen eine Reduzierung der Umsätze und/oder Kund*innenzahl. Auf der anderen Seite geben 103 von 231 befragten Kund*innen an, häufiger und 97 länger im Oeder Weg unterwegs zu sein. 31 sind seltener bzw. 26 sind kürzer vor Ort. 65 geben nach eigenen Angaben mehr Geld aus, 22 weniger.
Laut Knese ist dies ein Phänomen, welches mittlerweile aus diversen Studien zahlreicher Städte bekannt ist: „Viele Geschäftsinhaber*innen unterschätzen die Konsumkraft von Menschen, die zu Fuß oder mit dem Rad kommen, und überschätzen die Anteile der Kund*innen, die mit dem Pkw anreisen.“
Die Auszüge des Gewerberegisters der Stadt Frankfurt zeigen hinsichtlich der Geschäftsabmeldungen über die vergangenen Jahre keine Auffälligkeiten im Vergleich mit anderen Geschäftsstraßen. „Gleichwohl zeigen unsere Untersuchungen, dass solche Umgestaltungen nicht nur Gewinner*innen hervorbringen. Zielkonflikte sind in der Stadt- und Verkehrsplanung an der Tagesordnung. Dies zeigen auch die emotionalen Diskussionen rund um die Maßnahmen im Oeder Weg in den letzten Monaten. Hier muss die Stadt Wege finden, wie diese Menschen mitgenommen werden können. Jede*r Einzelne ist gefragt, sich sachlich in die Debatte einzubringen“, so Knese.
Die Betroffenen vor Ort sollten aktiv eingebunden werden, z.B. bei der Gestaltung der Multifunktionsflächen oder der Errichtung weiterer Lieferzonen, die von vielen Gewerbetreibenden gefordert werden. „Die Ergebnisse bestärken uns in unserem Anliegen, das Projekt mit weiteren baulichen Maßnahmen zu verstetigen“, so Wolfgang Siefert. Er skizziert, wie es mit dem Projekt weitergehen könnte: „Ein wesentlicher Aspekt ist die barrierefreie Umgestaltung der Knotenpunkte. Wichtig wäre uns auch die weitere Aufwertung der Gehwegbereiche und Multifunktionsstreifen inklusive Baumpflanzungen, die wir gern im Austausch mit den Betroffenen entwickeln würden.“
Zum Research Lab for Urban Transport (ReLUT)
m Research Lab for Urban Transport (ReLUT) der Frankfurt UAS forscht ein interdisziplinäres Team aus Wissenschaft und Praxis zu aktuellen und zukünftigen Herausforderungen des Verkehrs im städtischen Raum. Es werden Forschungsprojekte zur letzten Meile des Wirtschaftsverkehrs, zum Personenverkehr sowie große Datenanalysen durchgeführt. www.frankfurt-university.de/relut
Näheres zum Forschungsprojekt „Fahrradfreundliche Nebenstraßen“ unter: