Mit dem Waldwiesel.E gelang Urwahn eine kleine Sensation. Denn zahlreiche Komponenten wurden im 3D-Druckverfahren hergestellt. In Deutschland und ressourcenschonend, aber nicht günstiger.
Stand heute.
Text: Andreas Burkert (Chefredakteur VeloTOTAL Business, Bilder: © Urwahn)
Das Selective Laser Melting war für Sebastian Meinecke letztendlich die Inspiration, ein gänzlich neues Fahrraddesign zu denken. Schicht für Schicht lässt sich damit nahezu jede erdenkliche
Rahmenform
herstellen. Der Gründer, CEO und Designer bei Urwahn, hat mit seinem Konstruktionsteam dieses Fertigungsverfahren – umgangssprachlich auch 3D-Druck genannt – für die speziellen Anforderungen in
der Fahrradbranche angepasst und für die Serienproduktion von Fahrradrahmen optimiert. Zu Beginn der
Produktentwicklung mussten allerdings fundamentale Produktanforderungen, wie auch -eigenschaften, nach allgemein gültigen Richtlinien definiert werden. Zudem wurden notwendige Handlungsabläufe in
einem Gebrauchsszenario durchgespielt.
Unter Berücksichtigung konstruktiv-technologischer Gestaltungsprinzipien definierten die Entwickler darüber hinaus belastungs-, ergonomie- und werkstoffgerecht geometrische Parameter. Diese
wurden im Design und
Konstruktionsprozess via CAx-Systeme verifiziert. Die gewonnenen Erkenntnisse haben Meinecke überzeugt. So wurde der 3D-Druck aufgrund der hohen Detailstärke, der Maßgenauigkeit und der
Oberflächenqualität
als geeignetes Fertigungsverfahren des Urwahn-Rahmens festgelegt. Das Ergebnis ist ein völlig neuartiger Fahrradrahmen, der mit der bekannten Trapezform so gar nichts mehr gemein hat.
SOFTRIDE-GEOMETRIE MIT DÄMPFENDEN FAHREIGENSCHAFTEN
Durch den ganzheitlichen Formschluss von Vorder- und Hinterbau gelang es den Konstrukteuren, das Hinterrad quasi elastisch aufzuhängen. Damit können Stöße, die durch Bodenunebenheiten ausgelöst
werden, reduziert werden. Durch den Verzicht auf handelsübliche Federungen wird so konsequent Gewicht eingespart, während der Fahrkomfort erhalten bleibt. Meinecke nennt sie Softride-Geometrie
mit dämpfenden Fahreigenschaften, die es „ohne dieses Fertigungsverfahren nicht gäbe“.
Weitere innovative Details, wie ein leistungsstarkes LED-Lichtsystem und GPS-Tracking-System als Diebstahlschutz, wurden vollständig in den Rahmen integriert. Für Meinecke galt dabei immer auch,
dass „wir immer die Reduktion auf das Wesentliche vor Augen hatten, was dem Fahrrad auch sein filigranes und edles Aussehen gibt“.
Der leidenschaftliche Produktentwickler und Ingenieur für Sportgeräte hatte schon immer ein besonderes Interesse für puristische Fahrräder. Unter dem Namen „Sme Bicycles“ fertigte er mehr als 60
Auftragsfahrräder für den Einsatz speziell im urbanen Raum.
SCHNELLE ÄNDERUNGEN DER BAUTEILGEOMETRIE
Dank dieser Erfahrung konnte Urwahn sofort mit der Fertigung beginnen, da auf teure Fertigungswerkzeuge verzichtet werden konnte. Auf diese Weise können schnelle Änderungen der Bauteilgeometrien
von Batch zu Batch umgesetzt werden, was auch Einzel- und Maßanfertigungen in Zukunft möglich machen kann. „Durch
das Verfahren des 3D-Drucks war eine Anpassung von unserem ersten Modell Stadtfuchs, hin zum Platzhirsch eBike wesentlich einfacher und schneller umsetzbar“, erzählt Meinecke. Er zeigt sich
sicher, dass „wir in künftigen Entwicklungen stark von schnelleren Entwicklungszyklen profitieren“.
Vom Herstellungsverfahren profitiert auch die Umwelt. Im Vergleich zu konventionellen Verfahren ist es ressourcenschonend, da nahezu kein Ausschuss entsteht. „Günstig ist das Verfahren in der Tat
aber nicht“.
Laut Urwahn übersteigen die Rahmenkosten eines 3D-Rahmens die eines in Taiwan oder China gefertigten Standardrahmens um ein Vielfaches. „Sie sind der Hauptkostentreiber bei all unseren Bikes“,
erklärt Meinecke. Er geht aber davon aus, dass die Produktionskosten in Zukunft sinken, „wobei wir das Niveau einer globalen Rahmenproduktion nicht erreichen werden, jedenfalls nicht in
absehbarer Zeit“.
INTERVIEW:
DIESES RAD WURDE ERST DURCH DEN 3D-DRUCK MÖGLICH
Interview mit Sebastian Meinecke, Gründer, CEO und Designer bei Urwahn - geführt von Andreas Burkert (Chefredakteur VeloTOTAL Business)
Mit dem Waldwiesel.E zeigt die Magdeburger Fahrradmanufaktur Urwahn, wie viel Entwicklungspotenzial das Fahrrad noch bietet. Im 3D-Druck-Verfahren gefertigt, erhofft sich Urwahn-Chef Sebastian Meinecke, nachhaltige Wettbewerbsvorteile.
Sebastian, ein erster Blick aufs Waldwiesel.E genügt, um zu erkennen, da haben sich die Konstrukteure etwas Besonderes einfallen lassen. Was genau ist an dem Pedelec anders?
Das Besondere an dem Fahrrad ist, dass die dünnwandigen Verbindungselemente des Urwahn
Stahlrahmens unter Zuhilfenahme modernster 3D Druck-Technik gefertigt wurden. Dabei werden in
Anwendung des generativen Laserschmelzverfahrens
(Selective Laser Melting SLM) die Verbindungselemente aus zuvor verdüstem Metallpulver Schichtweise aufgebaut. Die einzelnen Metallschichten werden hierbei mittels eines Lasers
miteinander verschmolzen.
Warum hat Urwahn die 3D-Drucktechnik gewählt?
Damit können wir den Herstellungsprozess unserer
komplexen Verbindungselemente drastisch verkürzen und benötigen keinerlei kostenintensive Werkzeuge zur Herstellung. Dass der Bauteilgeometrie hierbei nahezu keine Grenzen gesetzt werden, nutzen
wir für die die organische Darstellung und die Integration beispielsweise der Verkabelung oder Schraubaufnahmen.
Und warum das Selective Laser Melting?
Mit dem Selective Laser Melting SLM-Verfahren können wir unter anderem eine sehr gute Oberflächengüte
erreichen. Zudem eignet es sich gut für eine hohe Bauteilkomplexität. Des Weiteren können Bauteile mit einem hohen Volumen beim SLM-Verfahren hergestellt werden. Auch aus einer nachhaltigen
perspektive bietet das SLM-Verfahren viele Vorteile. Zum Beispiel ist die Recyclingfähigkeit des Pulvers sehr hoch und es entsteht eine optimale Materialausnutzung.
Du sprachst zu Beginn des Gesprächs von dünnwandigen Verbindungselementen. Kannst Du da konkreter
werden und ist die Wandstärke durch den 3D-Druck oder aber durch die Funktion begrenzt?
Die Wandstärke der Verbindungselemente ist bis zu 0,9 Millimeter reduziert. In Bereichen wo die Stabilität
es erfordert, sind die Wandstärken auch dicker, um zum Beispiel die Lenkkopfsteifigkeit oder Tretlagersteifigkeit garantieren zu können. Die funktionale Integrationstiefe begrenzt zwar die
Möglichkeit der
Wandstärkenreduzierung in gewissen Bereichen. Dennoch sind wir rechnerunterstützt daran bestrebt, die Wandstärken serienbegleitend noch weiter zu reduzieren.
Der schwierigste Part der Entwicklungsarbeite liegt nun aber hinter Dir. Wie lange hat der Prozess gedauert,
die Fahrradkomponenten mit dem SLM-Verfahren fertigen zu können?
Etwa fünf Jahre haben wir geforscht und geprobt. Die Entwicklung zum Urwahn Bike begann bereits 2015
mit meiner Masterarbeit an der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg. Dort wird das phasenorientierte
Vorgehensmodell des Integrated Design Engineerings gelehrt, welches ich als theoretische Grundlage nutzte. Dieses wird im Übrigen auch heute noch bei Urwahn für die Produktentwicklung
herangezogen.
Worum genau geht es?
Wir stellen dabei gezielt den Nutzer in den Mittelpunkt und analysieren konsequent seine alltäglichen
Gebrauchsszenarien, um eine frustfreie und intuitive Produktnutzung zu gewährleisten. In diesem
Forschungsprojekt erfolgte die Entwicklung und Erprobung der Rahmenstruktur und dann im Anschluss
die Gründung in 2017. Durch den 3D-Druck konnte das Urwahn Bike ohne Kompromisse an Design und Funktionalität realisiert werden.
Gab es während der Erprobungsphase auch Momente der Verzweiflung?
Im Prinzip geht jeder Entwicklungsschritt mit speziellen Schwierigkeiten einher. Die Entwicklung und spätere
Zertifizierung des Rahmens stellte uns vor umfangreiche konstruktive Fragestellungen, die wir aber durch
zahlreiche Prototypentests, Simulationen oder Optimierungsschleifen überwinden konnten. Das Finden eines
geeigneten kompromisslosen Produktionsverfahrens war ebenfalls mit großen Schwierigkeiten verbunden, weil wir als Unternehmen auf keinerlei Grundlage aufbauen konnten. Das Durchhaltevermögen und
die
finanzielle Absicherung des Projektes und der persönliche Unterhalt haben uns im Laufe des Projektes immer
wieder vor Herausforderungen gestellt.
Immerhin war es Neuland.
Richtig. Das 3D-Druckverfahren wurde zur damaligen Zeit in der Fahrradbranche noch nicht genutzt und
auch heute werden von anderen Fahrradherstellern lediglich Prototypen oder einzelne Teile in Kleinserien
gefertigt. Eine Ausnahme ist Bastion Cycles aus Australien. Ein Dank geht aber an das Land Sachsen-Anhalt.
Es hat für innovative Unternehmen eine hervorragende Förderlandschaft geschaffen, die bisher leider von
viel zu wenigen genutzt wurde. Davon haben wir stark profitiert.
Ein ganzes Fahrrad im 3D-Druck herzustellen dürfte kaum möglich sein. Welche Komponenten lassen sich
derzeit drucken, welche nicht?
Das Rahmenkonzept setzt sich aus 3D-gedruckten Verbindungselementen (Steuerrohrverbinder, Sattelrohrverbinder, Monostaybeugung, Beltport, Tretlager und die beiden Ausfallenden) aus Stahl (1.2709)
und tief-gezogenen CrMo-Stahlrohren zusammen. In Handarbeit werden diese durch Schweißtechnik (Platzhirsch) miteinander verheiratet. Nach dem Fügeverfahren wird jede Fügestelle noch einmal
kontrolliert und in Feinarbeit formschlüssig verschliffen. Dies verleiht dem Stahlrahmen den unverwechselbaren Charakter und lässt diesen wie aus einem Guss erscheinen.
DIE RENAISSANCE DES STAHLS?
Wir gehen zurück zu den Wurzeln und setzen bei all unseren Softride-Rahmen zu 100 Prozent auf Stahl. Ganzheitlich in Deutschland produziert, unterliegt dieser einer nachhaltigen Werkstoffpolitik.
Die Verwendung des ursprünglichen Werkstoffs Stahl begünstigt die Materialrückführung. Gegenüber Carbon und Aluminium lässt sich Stahl deutlich besser verarbeiten, reparieren und verwerten.
Begleitet von kurzen Produktions- und Logistikwegen, können wir zudem auch den CO2-Ausstoß zu Gunsten unserer Umwelt drastisch reduzieren.
Ergeben sich dadurch auch konstruktive Vorteile gegenüber der herkömmlichen Herstellungsweise?
Die Vorteile des 3D-Drucks liegen in den neuen Möglichkeiten in der Gestaltung und Dimensionierung hochkomplexer Bauteile, allen voran das organische Rahmendesign. Solch dünnwandige und
hochkomplexe Bauteile wie unsere Rahmenteile zu fertigen, war durch den 3D-Druck überhaupt erst möglich. Ohne dieses Fertigungsverfahren gäbe es keine Softride-Geometrie mit dämpfenden
Fahreigenschaften und keine nahtlos-organische Formsprache.
Und was hat das mit der Beugung im Rahmen auf sich?
Die Beugung im Rahmen ist nicht nur optisch ansprechend, sondern generiert ein völlig neues und komfortables Fahrerlebnis. Außerdem können Verkabelung und Sattelklemme dezent im Rahmen
verschwinden.
Bleibt noch die Frage nach der Rentabilität.
Bei richtigen Prozessketten sind wir in der Einzelbetrachtung unter Beachtung der Innovations-, Design- und Integrationstiefe deutlich schneller. Besonders durch die schnelle Reproduzierbar- und
Skalierbarkeit unter Serienbedingungen mit Hilfe des 3D-Drucks stellen sich viele Vorteile heraus. Durch die Prinzipien des Lean Manufacturings behalten wir dazu einen sehr guten Überblick über
den Materialfluss und auch das Produzieren On Demand/Just in Time bringt uns nach vorne. Zudem können wir mit einer kurzen Lieferkette trumpfen. Besonders in dieser Zeit, in der viele
Fahrradhersteller mit Lieferengpässen zu kämpfen haben, sind wir durch die Produktion in Deutschland im Vorteil was das Timing angeht.
Und der Preis für diese Vorteile?
Günstig ist das Verfahren in der Tat nicht. Die Rahmenkosten eines 3D-Rahmens übersteigen die eines in Taiwan oder China gefertigten Standardrahmens um ein Vielfaches. Sie sind der
Hauptkostentreiber bei all unseren Bikes. Ich gehe aber davon aus, dass die Produktionskosten in Zukunft sinken. Wobei wir das Niveau einer globalen Rahmenproduktion nicht erreichen werden,
jedenfalls nicht in absehbarer Zeit.
Vielen Dank für das Interview!