Die Fahrradbranche ist klimafreundlich, nachhaltig, zukunftsorientiert, aber (noch) nicht weiblich. Dabei bietet sie für Frauen verschiedene Berufsfelder, die über die traditionelle Fahrradmechanikerin hinausgehen. In einer Serie stellt der pressedienst-fahrrad ausgewählte Berufe aus der Zweiradbranche und die Frauen dahinter vor.
Heute:
Janina Haas hat Sports Technology in Köln studiert und arbeitet als Teamleiterin für den Bereich Ergonomie beim Sattel- und Griffhersteller Ergon in Koblenz.
Sport hat für Janina Haas schon immer dazugehört. Zuerst Handball auf Leistungssportniveau und als sie Knieprobleme bekam, wurde mit Anfang 20 das Radfahren zu ihrem neuen Lieblingssport. Dass ihre Eltern einen Radladen besitzen, hat sicher ebenfalls eine Rolle gespielt. Für die 34-Jährige aus dem hessischen Gedern war nach der Schule auch klar: Sport und Beruf irgendwie zu vereinen, das wäre cool. Sie studierte Sport – vor dem Hintergrund ihrer Knieverletzung mit dem Schwerpunkt „Reha und Prävention“ – und machte danach ihren Master in Sport- und Ingenieurswissenschaften an der Sporthochschule in Köln. Ihre Bachelorarbeit schrieb Haas über die „Kniebewegung beim Radfahren“ und für ihre Masterarbeit über Frauensättel kam sie schließlich zu Ergon.
Wie können Sättel noch besser werden?
„Schon bevor ich die Arbeit abgegeben hatte, war klar, dass ich bei Ergon weitermache“, sagt Janina Haas. Sie startete beim Koblenzer Unternehmen im September 2013 und baute die Ergonomie-Abteilung mit ihren Kolleg:innen weiter aus. Seit 2015 ist sie offiziell Teamleiterin für den Bereich Ergonomie und mit ihren Kolleg:innen dafür verantwortlich, dass Sättel für den jeweiligen Einsatzbereich wie MTB, Rennrad, Urban oder Gravel bequem und komfortabel sind. „Das heißt, es kommt Input von der Produktentwicklung, insbesondere dem Ergonomie-Team, dem Sales-Team, dem Produktmanagement als auch vom Chef und wir überlegen uns:
Was muss besser gemacht werden, wie ist die Nachfrage, gibt es verbesserte Materialien, die wir einsetzen können?“, erklärt Haas. Das Ergonomie-Team starte dann in die Recherche. „Wir schauen uns verschiedene Aspekte an: Wo stehen wir, was möchten die Kunden, wo steht der Wettbewerb und wie können wir unsere neuesten Erkenntnisse in das Produkt einfließen lassen, um das Produkt ergonomisch und technisch zu optimieren“, sagt Haas. „Wir setzen uns daher früh mit den Kollegen aus Design und Engineering zusammen.“ Dann werden im hauseigenen 3D-Drucker Sattelschalen und mit der Fräsmaschine das entsprechende Innenleben für Prototypen hergestellt. „Das heißt, dass wir auch schnell ins Testen kommen können“, so die Sportwissenschaftlerin. Je nachdem, wie komplex ein neuer Sattel ist, braucht es zwischen zwei und zehn Test- und Überarbeitungs-Loops, bis er in die Fertigung gehen kann. „Danach folgt noch mal eine Abstimmung und dann geht der Sattel in Serie“, sagt Haas.
Fahrradfahren ist beruflich relevant
Im nächsten Schritt werden Fahrer:innen in ganz Deutschland und weiteren Ländern aktiv, um den neuen Sattel ausgiebig zu testen. „Dieses Feedback ist sehr wichtig für uns“, betont Haas. Mindestens genauso wichtig sei, dass sie selbst viel fahre, um genau verstehen zu können, worüber die Tester:innen reden. Für Janina Haas gar kein Problem. Begonnen hat sie ihre Fahrradkarriere auf dem Rennrad. Seit sie in Koblenz wohnt, umgeben von Wald und schönen Trails, ist sie in ihrer Freizeit vor allem auf dem MTB unterwegs. „Rennradfahren auf der Straße ist nett“, sagt sie, „aber es ist nie so entspannt wie im Wald.“ Außerdem hat sie das Gravel-Bike für sich entdeckt, das die Vorteile von MTB und Rennrad miteinander verbindet, und gelegentlich stehen auch Fahrten mit E‑MTB und dem Cargo-Bike an.
Grundlagenforschung gehört dazu
Grundlagenforschung ist ebenfalls ein wichtiges Thema bei Ergon, und so finden ein- bis zweimal jährlich Projekte, etwa in Kooperation mit Universitäten, statt, um Sättel und Griffe weiterzuentwickeln. „Materialien entwickeln sich ja weiter, es entstehen auch neue oder andere Bedürfnisse, so zum Beispiel beim E‑MTB, für die wir Lösungen suchen und anbieten wollen“, erläutert Haas. In ihrer Abteilung ist sie eine von sechs Frauen bei insgesamt 19 Mitarbeiter:innen. Nachteile oder herablassende Bemerkungen aufgrund ihres Geschlechts hat Janina Haas in ihrer beruflichen Laufbahn nicht erlebt. „Ich habe wirklich nur gute Erfahrungen gemacht und wurde immer ernst genommen. Ganz am Anfang musste ich schauen, wie ich mir in Meetings, in denen nur Männer sitzen, Gehör verschaffe. Also wann kann ich meinen Beitrag am besten bringen? Das habe ich mir zwei Wochen angeschaut und dann hat es geklappt. Daran gewöhnt man sich ganz schnell.“ Und einen Unterschied in der Arbeitsweise von Frauen und Männern, gibt es den? „Frauen arbeiten tendenziell strukturierter,“ findet Haas. „Aber Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel.“
In gemischten Teams zu arbeiten, schafft frischen Wind
Welchen Rat hat sie für jüngere Frauen, die nach ihrer Schulausbildung vielleicht überlegen, ob die Fahrradbranche ein mögliches Berufsfeld für sie bieten könnte? „Wenn sie sich nicht trauen, aber Lust darauf haben – einfach machen!“, sagt Haas. Wenn man etwas habe, mit dem man sich gerne beschäftige, dann solle man sich nicht davon abschrecken lassen, wenn dieser Bereich männerdominiert sei. „Ich glaube, wenn man Lust auf eine Sache hat, dann ist es auch leicht, sich ein gutes Standing zu erarbeiten“, so Haas. „Also einfach machen und nicht schüchtern sein und an sich glauben, falls Männer da etwas dominanter auftreten.“ Und überhaupt, mal stimmen die Stereotypen, die Männern wie Frauen nachgesagt werden, mal nicht. „In gemischtgeschlechtlichen Teams zu arbeiten ist ziemlich cool, weil ein frischer Wind weht, wenn jeder seine oder ihre Eigenschaften mit einbringt. Das schafft eine schöne Arbeitsweise.“
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