In den Beneluxländern und der Schweiz sind die schnellen S-Pedelecs oder E-Bike 45 seit Jahren eine beliebte Mobilitätsalternative vor allem für Pendler. Gerade in Corona-Zeiten wächst die Beliebtheit der modernen E-Bikes, bei denen der Motor bis zu 45 km/h unterstützen darf. Denn gerade für längere Distanzen ist die schnelle Klasse geradezu ideal als gesunder Ersatz für Auto, Bus und Bahn geeignet. Auch in Deutschland gibt es nach Ansicht von Niklas Lemm vom E-Bike-Hersteller Klever Mobility, einer Tochter des weltweiten tätigen Motorroller-Produzenten Kymco, große Potenziale. „In der Praxis wird die E-Bike 45-Klasse in Deutschland aber schon seit Jahren vom Bundesverkehrsministerium ausgebremst, statt diese sinnvolle und umweltfreundliche Alternative zu fördern."
Hersteller und Verbände: Handlungsbedarf für neue Mobilität
„Gerade in Zeiten von Corona, in der die Menschen nach gesunden Alternativen zu Bahn und ÖPNV suchen, ist es unverständlich, wenn schnellen E-Bikes vom Gesetzgeber weiter Steine in den Weg gelegt werden“, so Niklas Lemm. „Immer mehr Menschen setzen für ihre Alltagsmobilität auf Fahrräder und E-Bikes. Der Blick ins europäische Ausland zeigt, dass auch die Beliebtheit der inzwischen ausgereiften, schnellen E-Bikes stark wächst.“ Große Hindernisse in Deutschland sind nach den Erfahrungen des E-Bike-Spezialisten Klever, der nach Unternehmensangaben zu den Marktführern in der schnellen E-Bike-Klasse gehört, die restriktiven Regeln und Verbote, gegen die sich neben den Herstellern auch Fahrradverbände wenden. „Das enorme Potenzial des S-Pedelecs wird sich nur entfalten, wenn sie auch auf Radwegen fahren dürfen – zumindest auf solchen, die dafür geeignet sind“, erläutert dazu auch Dirk Sexauer, einer der Geschäftsführer des Branchenverbands Service und Fahrrad VSF. Ähnlich sieht man das beim Wirtschaftszusammenschluss Zweirad-Industrie-Verband ZIV: „Außerörtliche Radwege sowie Radschnellwege und Fahrradstraßen sollten für S-Pedelecs freigegeben werden“, fordert der Verband in einem Themenpapier.
Schnelle E-Bikes in Deutschland blockiert
Eines der Hauptprobleme, welche die legale Nutzung von schnellen E-Bikes in der Praxis schwierig und vielfach unmöglich machen, ist das Verbot Radwege mitzunutzen. Was sich auf dem Papier sinnvoll anhört, wird in der Realität oft zu einer gefährlichen oder legal unüberwindlichen Hürde. Ein Beispiel sind Brücken, auf denen die Fahrbahnen nur für Fahrzeuge ab 60 km/h freigegeben sind. Das Ausweichen auf den Radweg ist hier gemäß StVO für schnelle E-Bikes verboten. Gleiches gilt für Bundesstraßen. Obwohl oft gleich daneben ein gut ausgebauter Radweg oder sogar ein Radschnellweg vorhanden ist, wird man als Fahrer eines schnellen E-Bikes auf die Straße gezwungen. Nachvollziehbar die Verständnislosigkeit bei Auto- und Lkw-Fahrern und ebenso nachvollziehbar die Angst der E-Bike-Fahrer vor hochgefährlichen Situationen. Das gleiche Problem findet sich unter anderen Vorzeichen in der Stadt: Sowohl auf den Radwegen, als auch überall dort, wo Fußwege mit dem Verkehrsschild „Radfahrer frei“ gekennzeichnet sind, ist das Fahren mit dem schnellen E-Bike verboten – wichtige Verbindungen bleiben damit legal nicht nutzbar. Auch gegen die Fahrtrichtung für Rad- und normale E-Bike-Fahrer freigegebene Einbahnstraßen sind für schnelle E-Bikes so nicht nutzbar, mit der Konsequenz, dass weiträumige Umwege in Kauf genommen werden müssen.
Weg frei für schnelle E-Bikes in Tübingen
In Rahmen eines deutschlandweit bislang einmaligen Pilotprojekts gibt Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) nach und nach Radwege auf 80 Einzelstrecken mit einer Beschilderung und einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf maximal 30 km/h für schnelle E-Bikes frei und schafft damit ein neues Netz. Sein Argument: Wenn man Autofahrern zutrauen könne, die Geschwindigkeit entsprechend anzupassen, dann sollte man das auch von S-Pedelec-Fahrern erwarten können. Die bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit sei auch bei einem Porsche-Fahrer nicht als Argument dafür zu sehen, dass man ihn nicht in eine Tempo-30-Zone ließe.
Etablierter Verkehrsträger bei europäischen Nachbarn
In der Schweiz ist das schnelle E-Bike schon seit Jahren ein wichtiger Bestandteil des täglichen Verkehrs. 18.000 E-Bike 45 wurden hier im Jahr 2018 verkauft und damit fast viermal mehr als in Deutschland. Die Statistik zeigt in der Schweiz laut Mikrozensus 2015, dass E-Bike 45 zu über 40 Prozent von Pendlern für Arbeits- und Ausbildungswege genutzt werden. Der rechtliche Unterschied zu Deutschland: Hier muss mit dem schnellen E-Bike in der Regel auf dem Radweg gefahren werden. Die konkrete Entscheidung liegt dabei bei den Kantonen und Gemeinden, die auch auf individuelle Gegebenheiten vor Ort eingehen. Eine zunehmend hohe Akzeptanz findet sich auch in Belgien und den Niederlanden. Einen Anreiz zum Umsteigen bietet die Regierung in Belgien mit steuerlichen Anreizen: 23 Cent pro Kilometer werden vergütet, wenn man mit dem E-Bike 25 oder E-Bike 45 zur Arbeit kommt. In Deutschland wird das E-Bike 45 zwar steuerrechtlich wie ein Auto behandelt, in der Regel bieten die Unternehmen ihren Mitarbeitern aber nur einen Dienstwagen oder ein E-Bike 25 an. In den Niederlanden unterscheidet die Regierung zwischen Radwegen und dem für Leichtkrafträder bis 45 km/h freigegebenen „Bromfietspad“. Schnelle E-Bikes dürfen und müssen in den Niederlanden auf Fahrradwegen mit dem Zusatzschild fahren. Innerorts gilt dabei eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h, außerorts 40 km/h. 45 km/h dürfen nur auf der Straße gefahren werden. Auf Radschnellverbindungen wird die Nutzung durch schnelle Fahrzeuge nach Einzelprüfung freigegeben.
Gesunde und umweltverträgliche Mobilität fördern
Mit der Pandemie-bedingt schwindenden Attraktivität von Bahn und ÖPNV rücken nach Meinung von Experten mittelfristig sowohl das Auto, wie auch alternative Verkehrsmittel wie Fahrräder, E-Bikes
oder E-Scooter in den Vordergrund. „Wichtig ist bei allen Konzepten, dass sie umweltfreundlich und gesund sind. Fahrräder, E-Bikes und auch schnelle E-Bikes 45 bieten hier hervorragende
Voraussetzungen, weil man ja immer mittreten muss“, betont Niklas Lemm von Klever Mobility. „Man fährt auch nicht dauerhaft Höchstgeschwindigkeit, sondern in der Regel 30 bis 35 km/h und damit
ungefähr so schnell wie ein Rennradfahrer und bleibt gesund und entspannt.“ Das schnelle E-Bike 45 ist damit nicht nur ideal, um mittlere Strecken schnell zurückzulegen, sondern nach den
Erkenntnissen von Sportwissenschaftlern und Medizinern auch hervorragend geeignet, um Bewegungsmangel und damit vielen Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Übergewicht
vorzubeugen. Das Fazit und die Forderung von Niklas Lemm: „Wie die Verbände der Fahrradindustrie und viele Verkehrsexperten appellieren wir von Klever Mobility eindringlich an die Politik, die
Rahmenbedingungen für schnelle E-Bikes auf den Prüfstand zu stellen und diese, bei unseren europäischen Nachbarn bewährte, Mobilitätslösung zu fördern und nicht weiterhin zu blockieren. Wir
bieten allen Beteiligten an, sich beim Thema E-Bike 45 selbst ein Bild im Praxistest zu machen.“
Rechtliche Bestimmungen zum E-Bike 45 in Deutschland
Das E-Bike 45 (S-Pedelec), amtliche Typenbezeichnung L1-eB, zweirädriges Kleinkraftrad, braucht eine Betriebserlaubnis und ein
Versicherungskennzeichen. Der Motor darf maximal 4.000 Watt Leistung haben, allerdings nur bis zum Vierfachen der Pedalkraft unterstützen. Zum Fahren benötigt man mindestens ein Führerschein der
Klasse AM, der beispielsweise im Führerschein Klasse B, Pkw, enthalten ist. Inner- wie außerorts ist die Nutzung des Radwegs verboten (auch bei Kennzeichnung „Mofa frei“ oder „E-Bike frei“). Eine
Ausnahme gibt es in Tübingen in Verbindung mit dem Schild „S-Pedelecs frei“. Ein geeigneter Fahrradhelm ist Pflicht. Wie beim Auto und anderen Kraftfahrzeugen gibt es entsprechende
Promille-Grenzen und das Verbot des Austauschs nicht zugelassene Teile. Nicht erlaubt ist auch das Befahren von in Gegenrichtung freigegebene Einbahnstraßen sowie das Ziehen von Kinderanhängern.
(Quelle: FIS/Forschungs-Informationssystem, Herausgeber: BMVI, Stand: 19.10.2019.)