Die Tour de France steht vor der Tür. Drei Wochen lang quälen sich die besten Radfahrer der Welt wieder durch Frankreich – ein Spektakel an der Strecke und am Bildschirm. Für die Hersteller ist die Tour eine tolle Gelegenheit, neue Produkte zu zeigen. Doch der Radsport wandelt sich, der klassische Renner scheint ins Abseits zu rollen. Der pressedienst‐fahrrad fasst aktuelle Entwicklungen zusammen.
Pünktlich zum Start der legendären Frankreich‐Rundfahrt stellen die namhaften Rennradhersteller und Team‐Sponsoren ihre neuen Hightech‐Maschinen vor. Sie zeigen damit nicht nur das Material der Profis, sondern spiegeln den aktuellen Stand der Technik wider. Was heute bei der Tour gefahren wird, ist für viele Hobbyfahrer zwar unerschwinglich, dennoch lohnt sich der Blick auf so manche Details.
Immer schneller und schneller
„Profifahrer sind heute viel schneller unterwegs als früher. Außerdem haben sie sehr konkrete und unterschiedliche Ansprüche an ihr Fahrrad – nicht nur für sehr verschiedene Strecken, sondern auch Rennsituationen. Auf diese Entwicklungen müssen wir uns als Schaltungsexperten selbstverständlich einstellen“, erklärt Géraldine Bergeron vom Komponentenhersteller Sram. Ein Ergebnis ist beispielsweise die neue Funkschaltung „Red eTap AXS“ (ab ca. 2.860 Euro) mit zwölf Ritzeln in der Kassette am Hinterrad. Sie ermöglicht schnellere und präzisere Schaltvorgänge mit feineren Abstufungen als mechanische Modelle und kommt ganz ohne Kabel aus. In der dazugehörigen AXS‐App lässt sich die Schaltung detailliert auf persönliche Vorlieben einstellen. „Durch die Konnektivität ergeben sich für die Fahrer neue Möglichkeiten, um die optimale persönliche Einstellung zu finden und die Leistung zu verbessern. Auch Mechaniker können davon profitieren, denn einmal richtig eingestellt, muss die Schaltung nicht mehr nachjustiert werden“, verrät Bergeron. Hinzu kommt: Schaltzüge können nicht mehr verschleißen und die Schaltperformance bleibt länger auf einem konstant hohen Niveau. Alles zusammengenommen, verbessert es den Radsport und ist auch langfristig für den Hobbysportler eine interessante Option.
Die Schaltung ist dabei ein Teil der Gesamtentwicklung. Rennräder werden stetig effektiver, aerodynamischer und so auch schneller. „Durch verbesserte Rohrformen konnten wir die Steifigkeit des Rahmens bei unseren neuen Modellen weiter verbessern und so die Rennräder deutlich stabiler und schneller machen. Tests zeigen, dass dadurch bis zu 30 Watt eingespart werden können“, verrät Philipp Martin vom US‐Hersteller Cannondale, der dieser Tage seine überarbeitete Rennradserie „Supersix Evo“ (Preis je nach Ausstattung zwischen 2.799 und 10.499 Euro) präsentiert. Es soll das schnellste leichtgewichtige Rennrad der Welt sein und laut Martin ein „reines Rennrad“. Eine Bezeichnung, die überrascht, aber den aktuellen Weg und vor allem den Wandel des Rennrads zeigt.
Weg vom Asphalt – ab in den Feldweg
Das Rennrad wird nämlich unabhängig von glattem Asphalt und guten Straßen. Es kommen immer mehr Rahmen auf den Markt, die deutlich breiteren Reifen Platz bieten. „Reine Rennräder“ stehen heut meist auf 25 Millimeter breiten Reifen; bei sogenannten Gravel‐Bikes sind Reifen zwischen 30 und 50 Millimeter Breite verbaut. Profis nutzen die Option auf äußerst anspruchsvollen und reifenverschleißenden Strecken wie Paris‐Roubaix oder auf den toskanischen Strade Bianchi, wo Kopfsteinpflaster bzw. Schotter der dominierende Untergrund sind. „Hier bringen 30 Millimeter breite Reifen ein deutliches Mehr an Komfort und Pannensicherheit. Letztere ist gerade bei Wettkämpfen wichtig, denn Defekte im unpassenden Moment können über Sieg und Niederlage entscheiden“, erklärt Doris Klytta von Schwalbe. Im Hobbysport und bei Freizeitfahrern ist ein klarer Trend zu diesen Rädern zu erkennen, denn zuvorderst vervielfachen sie den Nutzwert des Rennrads. Des Weiteren lässt sich eine lustvolle Vermischung vorher statischer Radgattungen beobachten: Die Grenzen zwischen Rennrad, Geländerenner, Reiserad, Alltagsflitzer und Trainingsrad verschwimmen zusehends. „Ganzjahressporträder vereinen sportliche Fahrdynamik und Komfort, wie man ihn auf Langstrecken braucht, mit einer hohen Alltagstauglichkeit, wie sie Schutzbleche, Gepäckträger und Beleuchtung bieten“, beschreibt Volker Dohrmann von Stevens Bikes. Der Hamburger Hersteller führt mit den Modellen „Supreme“ (1.499 Euro), „Vapor“ (1.999 Euro) und „Gavere“ (1.299 Euro) bereits drei passende Renner im Sortiment. „Der Trend wird die Radentwicklung noch länger beeinflussen“, ist Dohrmann überzeugt.
Ideen vom MTB adaptieren
Das Breitreifenrennrad wurde technisch vor allem dadurch möglich, dass Technologien vom Mountainbike adaptiert wurden. Scheibenbremsen, Tubeless-Reifen und Einfachschaltung sind am MTB schon länger Standard. Mit 28 bzw. 29 Zoll und 27,5 Zoll treffen sich beide Gattungen nun auch in puncto Laufradgröße. Manches Gravel‐Rad kommt sogar mit versenkbarer Sattelstützen oder Federgabel (z. B. „Slate“ von Cannondale/3.699 Euro). Beides hat das Fahren mit dem Mountainbike revolutioniert und wäre vor wenigen Jahren am Renner noch undenkbar gewesen. All diese Innovationen treffen auf ein eher konservatives Rennrad‐Klientel, das sich in Teilen am liebsten auf ein klassisches, leichtes Bike setzt. Für Hersteller ist es deshalb wichtig, einen Spagat hinzubekommen, der neue Käufergruppen erobert, aber auch langjährige Kunden bei Laune hält. „Laut unseren Befragungen sind Rennradfahrer allerdings weitaus weniger konservativ als man annehmen könnte“, erklärt Dohrmann, der auf den steigenden Verkauf von Rennrädern mit Scheibenbremsen verweist. Auch die Leserbefragungen der Fachmagazine wie Tour oder Rennrad scheinen dies zu erhärten. Sie dokumentieren nach jahrelanger Skepsis eine, wenn auch langsam wachsende, Akzeptanz von Neuerungen wie Scheibenbremsen.
Der Markt stagniert
Für den Rennradmarkt sind diese Entwicklungen ein Weckruf zur rechten Zeit. Seit Jahren stagnieren die Rennrad‐Verkaufszahlen auf einem verhältnismäßig niedrigen Niveau – obwohl viel Entwicklungsarbeit und Marketing‐Budget der Hersteller in den Bereich wandert. Laut aktuellen Marktzahlen des Zweirad‐Industrie‐Verbandes (ZIV e. V.) hatten 2018 gerade einmal 3,5 Prozent der verkauften Räder einen Rennlenker. Und auch im Fachhandel rückt das einstige Vorzeigefahrrad immer stärker in den Hintergrund: Nur noch rund zwei Drittel der deutschen Fachhändler geben laut einer Umfrage des Branchenmagazins SAZbike an, überhaupt Rennräder zu verkaufen. Dabei liegen die Räder mit einem durchschnittlichen Verkaufspreis von 2.200 Euro im mittel‐ und hochpreisigen Segment. Also eigentlich ein gutes Geschäft. Doch viele Rennradfahrer kaufen aufgrund der meist niedrigeren Verkaufspreise die Räder mittlerweile bei Direktversendern im Internet. Die Folge: Um mitzuhalten, ist der Fachhandel zur Rabattierung gezwungen. „Rennräder sind dabei äußerst beratungsintensiv, weil viel von der richtigen Sitzposition abhängt und die technischen Unterschiede so fein austariert sind. Viele Händler haben einfach nicht mehr die Zeit für diese ausführliche Beratung, die kaum etwas einbringt. Deshalb überlassen sie das Feld lieber den Spezialisten“, weiß Alexander Schmitz, Chefredakteur von SAZbike. Hinzu käme der in den letzten Jahren wachsende Anteil an E‐Bikes, die im Fachhandel viele Ressourcen binden, aber auch viel Umsatz bringen. „Das Rennrad ist zwar für viele eine Herzensangelegenheit. Aber wenn man kalkulieren muss, muss man auch einmal schwierige Entscheidungen treffen“, so Schmitz.
Straßenradsport wird weiblicher
Dabei ist der Rennradsport nicht nur männlich geprägt, auch immer mehr Frauen entdecken das Sportgerät für sich – egal ob im Wettkampf oder im täglichen Verkehrsgeschehen. Das wirkt sich auch beim Fahrradzubehör oder der Bekleidung aus. „Beim Rennradfahren handelt es sich eigentlich um einen schnellen Sport, gleichzeitig entschleunigt Radfahren den Alltag und beim Graveln kommt man auch richtig raus in die Natur. Beim Anspruch an Bekleidung bemerken wir einen Trend in Richtung Funktion mit urbanem Charakter“, stellt Anna Rechtern vom Outdoor‐Spezialisten Vaude fest. Die Verantwortlichen von Stevens sehen dabei, dass Frauen für ihr Rad eigentlich keine spezifischen Damengeometrien oder Farbgebungen benötigen, wie sie gerne so manch Hersteller im Angebot hat, sondern auf das gegebene Angebot zurückgreifen. „Die Räder müssen passen – unserer Erfahrung nach sind die im Sport erfolgreichen Frauen sehr zufrieden mit der Auslegung unserer Alu‐ und Carbonmodelle“, sagt Dohrmann.
Der Motor kommt auch am Renner
Und auch der Motor findet sich seit 2017 am Rennrad – der somit letzten elektrifizierten Radgattung. Kaum ein Hersteller, der 2019 auf ein elektrifiziertes Rennrad verzichtet. Aktuell mag das Thema zwar noch eine Randerscheinung sein, aber für die Zukunft wird mit einem signifikanten Wachstum gerechnet. „Als Zielgruppe eignen sich dabei entweder ältere Fahrer oder Leute, die wenig Zeit zum Training haben. Sie können so besser mit ihren Trainingsgruppen im bergigen Terrain mithalten. Aber auch junge Fahrer, die der E‐Mobilität aufgeschlossen sind, kaufen sich ein solches Rad, um einfach Spaß damit zu haben“, erklärt Philipp Martin, dessen Unternehmen im letzten Jahr vier Modelle der „Synapse Neo“-Reihe (ab 3.299 Euro) vorstellte. Das Rennrad bietet für die Zukunft also noch reichlich Themen und gehört noch lange nicht zum alten Eisen.