Der Fahrradmarkt wächst und wird neu aufgeteilt: das Mountainbike stagniert, das Elektro-Mountainbike boomt. Welches Stück wird wie groß?
„Solange ich Chef dieser Firma bin, werden wir diese Scheiße nicht bauen!“ Das hat angeblich vor Jahren der uns bekannte Geschäftsführer eines Fahrradherstellers über E-Mountainbikes gesagt. Nach
einer Autorisierung braucht man nicht einmal fragen – aussichtlos. Und egal. Denn selbst wenn es nicht stimmt: Damals wäre er von vielen Mountainbikern für diesen Satz gefeiert worden, weil kaum
eine Idee in der Bike-Szene so verteufelt wurde wie das Mountainbike mit Elektromotor. Dagegen war 29 Zoll eine von allen Bikern sehnsüchtig herbeigesehnte Innovation, die nicht früh genug nach
Deutschland kommen konnte.
Doch wie so viele Ideen, die erst ausgelacht, dann ignoriert und schließlich angefeindet wurden, hat sich das E-Mountainbike durchgesetzt. Wird es das Mountainbike überflügeln?
Alle von uns befragten Branchengrößen sind sich einig darin, dass der Markt für E-MTBs stark wachsen wird. Die Verkaufszahlen des Zweirad-Industrie-Verbands: 2015 haben Deutschlands Fahradhändler
535 000 Elektroräder gekauft, also wieder mal etwa 10 Prozent mehr als im Vorjahr, der Marktanteil liegt jetzt bei 12,5 Prozent. Auf 15 Prozent soll er laut ZIV in den kommenden Jahren steigen.
Elektro-Mountainbikes werden zwar immer noch nicht gesondert ausgewiesen, laut dem ZIV und den Herstellern aber steigt der Absatz rasant. Und die teuren E-Mountainbikes ziehen auch den
durchschnittlichen Verkaufspreis der Fahrräder auf mittlerweile 557 Euro hoch.
Umsatz-Rakete E-MTB
Der Umsatzschub durch Elektro-Mountainbikes erklärt die blühende Bilanz von Spartenprimus Winora: 40 Prozent der verkauften Fahrräder sind Elektroräder, sie machen fast 70 Prozent des Umsatzes
aus, und davon entfällt die Hälfte auf E-Mountainbikes. Also 35 Prozent Umsatz per E-MTB, während ein Branchenprimus wie Specialized gerade mal seine ersten E-MTBs vorgestellt hat! Wie haben die
Schweinfurter das geschafft?
» Vorauszusagen, wem die Zukunft gehören wird, vermag ich nicht – zumal wir seit jeher einen direkten Vergleich zwischen Mountainbike und E-Mountainbike vermeiden. Wir sprechen mit beiden Mobilitätsformen ganz verschiedene Personenkreise an und decken andere Preispunkte ab. «
Susanne Puello, Geschäftsführerin Winora-Staiger
Vor mehreren Jahren sagte ein Winora-Mitarbeiter auf der Eurobike, dass man E-MTBs als eigene Kategorie bewerben sollte, unabhängig vom Mountainbike. Am besten sei es, so der Mitarbeiter, man nennt es auch gar nicht mehr Mountainbike, sondern zum Beispiel S-Duro. Diesen Namen konnte Winora zwar nicht als Synonym für eine ganze Produktgattung durchsetzen (so wie etwa Walkman, Tesafilm, Tempo oder Dynamit), doch diese Art zu denken offenbart, dass Winora sehr früh etwas Wichtiges erkannt hat: Sie setzen ihre Elektro-Mountainbikes nicht in Konkurrenz zu herkömmlichen Mountainbikes, sondern vermarkten sie als etwas völlig anderes.
Ähnlich agieren heute viele Hersteller. Es gelingt, weil moderne Elektro-Mountainbikes nicht mehr Standard-MTBs mit nachgerüstetem Elektromotor sind, sondern eigenständige Entwicklungen. Dadurch erreichen sie einerseits eine neue Zielgruppe, die sonst nie ein Geländefahrrad gekauft hätte, und verhindern andererseits, dass Hardcore-Mountainbiker das E-MTB endlich nicht mehr als Schlaffi-Schaukel schmähen.
» Da läuft zwar eine gewisse ‚Kannibalisierung‘ auf Kosten des konventionellen Mountainbikes ab, aber wir betrachten E-Mountainbiker als eigenständige Zielgruppe, die nicht nur vom Mountainbike kommt. «
Rainer Gerdes, Marketingleiter Cycle Union (mit Kreidler Mountainbikes und Elektrorädern)
Ein weiterer Grund für die Stärke von Herstellern aus dem deutschsprachigen Raum könnten die Gesetze sein: In Deutschland, Österreich und der Schweiz nerven keine Verbote wie in den USA. Dort sind laut Paul Tolme, dort ansässiger Marketing-Verantwortlicher von Gates Carbon Drive, motorisierte Fahrzeuge auf vielen Trails generell verboten. Tolme betrachtet dies als den wesentlichen limitierenden Faktor für das E-Mountainbike in den USA.
Wohl auch darum bemerkt Treks Marketingleiter Guido Anderwert in Deutschland, Österreich und der Schweiz einen klaren Wandel zum E-MTB: „Unser Umsatz wächst dort im hohen zweistelligen Prozentbereich. Global verkaufen wir auch weiterhin sehr stark Mountainbikes, und das bleibt erstmal auch so.“
Und Deutschlands MTB-Markt?
» Fürs klassische Mountainbike sehe ich im Moment nicht das allerbeste Konsumklima. «
Josh Welz, Chefredakteur Bike & E-MTB
Das Mountainbike stagniert
In Deutschland wurden 2015 etwa 435 000 Mountainbikes verkauft, der Marktanteil liegt seit Jahren bei konstant etwa 10 Prozent. Josh Welz, Chefredakteur von Bike und EMTB, sieht „fürs klassische Mountainbike im Moment nicht das allerbeste Konsumklima“ (siehe Interview). Auch Robin Schmitt, Chefredakteur des Online-Magazins E-Mountainbike, meint, dass „der traditionelle Mountainbike-Markt langsam abnimmt“.
Indikatoren dafür sind auch die rückläufigen Zahlen der Endverbrauchermagazine fürs MTB: 1998 ergaben Verkauf und Abo-Zahlen der Bike zusammen im stärksten, dritten Quartal 122 000 Exemplare. Im
Quartal 3/2015 waren es zusammen 103 000 Hefte. Die Mountainbike verkaufte in ihrem besonders erfolgreichen Quartal 3/2005 im Verkauf und Abo zusammen 106 000 Exemplare. Im Quartal 3/2015 waren
es 87 000 Magazine. Diese Zahlen kann man zwar nicht zu einem Gesamtverlust von Lesern addieren, da sie unterschiedliche Zeiträume erfassen. Außerdem wird ein Teil des Leserschwundes von anderen
Print- und Online-Titeln aufgefangen (teils gar verlagsintern). Das ist normal, weil der Markt deutlich vielfältiger ist als früher.
Wie stark der Rückgang aber aufgefangen wird, kann nur spekuliert werden – andere Magazine meiden nämlich die IVW-Prüfung. Das muss natürlich nicht an zu niedrigen Zahlen liegen, es könnte auch
andere Gründe haben. Aber mit anderen Gründen könnte man auch die Umstellung der Dirt von Print auf Online erklären, die Reduktion der Pedaliero auf das Eurobike-Sonderheft und die Reduktion der
Fahrstil auf zwei Ausgaben pro Jahr nebst Einstellung der Abonnements. Leichtgläubige Heftemacher könnten dies ihren geschäftstüchtigen Lesern höchstens als „noch bessere Bündelung der
Leistungen“ schönreden. Da kann man vor lauter Begeisterung ganz durcheinander kommen.
» E-Mountainbikes ab 2000 Euro werden mit Mountainbikes gleichziehen. Das kann innerhalb von fünf Jahren ablaufen.
Sobald Elektronik günstiger und deutlich leichter wird, werden E-Mountainbikes auch in den günstigen Preisklassen gleichziehen. Oder das Mountainbike sogar überholen. «
Oliver Hensche, Geschäftsführer GIant Deutschland
Das E-MTB holt auf
Der Geschäftsführer von Giant Deutschland, Oliver Hensche, glaubt, dass E-Mountainbikes ab 2000 Euro mit Mountainbikes gleichziehen werden. Möglicherweise binnen fünf Jahren. „Sobald die
Elektronik günstiger und vor allem leichter wird, werden E-Mountainbikes auch in den günstigen Preisklassen gleichziehen. Oder das Mountainbike sogar überholen“, ist Hensche sicher. Julian
Oswald, Marketing-Manager von Scott, meint gar, ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen beiden Bike-Sorten zu Preisen ab 3000 Euro könne in zwei bis drei Jahren herrschen, während Günther
Schoberth-Schwingenstein, Marketingleiter bei Corratec, den größten Umschwung zugunsten des E-MTBs im Bereich von 1500 bis 3000 Euro sieht.
» Gelingt es, eine reine E-Mountainbike-Kultur mit einzigartigen Werten zu schaffen, wird der Umsatz zwangsläufig den der Mountainbikes überflügeln. «
Thomas Göbel, Pressesprecher Hermann Hartje
Ähnlich urteilt Hartjes Pressesprecher Thomas Göbel: Wenn es gelinge, eine eigene E-Mountainbike-Szene zu etablieren, dann werde der Umsatz mit E-MTBs den des Mountainbikes übertreffen. Ein
Hersteller wollte sich nicht äußern, weil das Thema sogar intern zu umstritten sei, so die Erklärung. Gar keine Antwort kam von Specialized. Vielleicht war man dort noch zu beschäftigt mit dem
Sonderverkauf: 20 Prozent Rabatt auf viele Mountainbikes.
Ähnlich äußerten sich mehrere Händler gegenüber Velototal. Thorsten Thomas (Geschäftsführer des Bergamont Flagship Stores in Hamburg) meint, dass E-MTBs den normalen MTBs den Rang ablaufen, wenn
sie leichter und günstiger werden und die Elektronik besser integriert ist. „Die meisten werden gerade in den Bergen den Vorteil schätzen, in weniger Zeit mehr Spaß zu haben“, so Thomas.
» Ich sehe das E-Mountainbike als völlig neue Klasse zwischen Fahrrad und Motorrad. Verbände, Regionen, Händler und Politik müssen diese neue Klasse als Chance sehen, damit das klassische Fahrrad und das E-Bike weiter an Relevanz gegenüber dem Auto gewinnen. «
Karlheinz Nicolai, Geschäftsführer Nicolai & Gründer Heisenberg Elektroräder
Umstritten ist allerdings, ob ein direkter Zusammenhang zwischen Wachstum hier und Rückgang dort besteht. Energisch widerspricht Karlheinz Nicolai: „Auf dem Planeten Erde gibt es aus historischen Gründen Motorräder und Fahrräder. Das verleitet niemanden zu einer Diskussion, ob sich das eine oder das andere Produkt mehr oder weniger durchsetzen wird.“ Ähnlich sehen es viele prominente Marktkenner wie Bernhard Lange, Wolfgang Renner oder Siegfried Neuberger: Sie meinen, der Markt fürs E-MTB wird neue Zielgruppen erschließen, also wachsen, ohne das Mountainbike nennenswert zu beeinträchtigen.
» E-MTBs ermöglichen einem nochmals größeren Personenkreis den Zugang zu unvergleichlichen Erlebnissen in der Natur – das kann man nur unterstützen! Trotzdem werden auch nicht angetriebene Fahrräder jeder Sparte ihre Fans nicht verlieren. «
Wolfgang Renner, Geschäftsführer Merida & Centurion Germany
Neue Shops für neue Kunden
In die Shops kommen also neue Kunden, identitätslos und ohne Fahrradsozialisation. Sie könnten gravierend andere Erwartungen an Fahrradgeschäfte haben als Mountainbiker. Simon Lehmann, der Geschäftsführer von Flyer, empfiehlt in Anlehnung an Autohäuser die räumliche Trennung von Verkauf und Werkstatt. Blitzende Neuware hier, zupackende Mechaniker dort – das Modell ist in einigen Schweizer Veloshops erfolgreich und könnte für deutsche Händler Vorbildcharakter haben.
» Der Anteil an E-Mountainbikes wird stark wachsen, während der traditionelle Mountainbike-Markt langsam abnimmt. Bereits jetzt wechseln schon beachtlich viele traditionelle Mountainbiker aufs E-Mountainbike. «
Robin Schmitt,
Chefredakteur E-Mountainbike
Als Wettkampfgerät war das Mountainbike für Leistungssportler schon immer ein Nischenprodukt, weil die meisten Mountainbiker einfach nur am Wochenende in den Wald und vielleicht noch am Montag
zur Arbeit wollten. Entspannung statt Laktatrausch. Robin Schmitt, Chefredakteur der E-Mountainbike, sieht in der Zielgruppe der genussorientierten Biker das größte Potential des Elektro-MTBs.
Das erklärt er mit dem Ski-Sport: Wie wenige Menschen gehen Skitouren und wie viele nutzen den Lift? „Das macht Mountainbikes für eine Zielgruppe interessant, der normales Mountainbiken zu
anstrengend ist“, so Schmitt. Und im Gegensatz zum Ski sei das E-Mountainbike nicht auf Berge, Lift oder Schnee beschränkt. Auch Maxi Dickerhof, Marketing-Mitarbeiter bei Ghost, sieht
spaßorientierte Biker als eine der wichtigsten Zielgruppen: „Insbesondere sportive und spaßorientierte Biker, welche sich derzeit noch gegen E-Mountainbikes sträuben mögen, werden schnell auf den
Geschmack kommen.“
Mit dem Motor leicht bergauf; und bergab eher sicher als schnell, auch in kniffeligen Passagen, das dürfte diese Zielgruppe ansprechen. Also viel Federweg und Plus-Format-Reifen oder gar
Fatbike-Reifen, so wie es viele Hersteller bereits jetzt machen. Sogar die Bike-Marke, deren Geschäftsführer im ersten Satz zitiert wurde.