Mit seinem E-Bike-Motor der D-Series hat der kanadische Antriebsspezialist BionX ein Produkt, das technisch für Furore sorgt, optisch aber polarisiert. Leistungsmäßig brillierte der Antrieb an unserem Wheeler Testbike.
Herrlich, diese Stille! Nichts von dem Surren und Summen und Vibrieren, das an so manch anderem E-Bike stört. Die E-Motoren der kanadischen Marke Bion-X sind ja bekannt für ihre weitgehende
Geräuschfreiheit, die mit dazu beiträgt, dass unser Wheeler E-Falcon Testrad trotz seiner "übernatürlichen" Fähigkeiten seinen grundlegenden Fahrradcharakter bewahrt. So fährt es sich etwa auch
ohne zugeschalteten E-Schub auf den Radwegen der Stadt noch so flott, dass man stets gut mit der Meute mithalten kann. Doch das ist nicht wirklich sein Revier.
Dieser Falke will hoch auf die Berge. Er verdankt seine Existenz einer vor wenigen Jahren einsetzenden bzw. auch leicht angeschobenen Nachfrage nach E-Mountainbikes, mit denen das E-Bike fern vom Opa-Nimbus und von der Hilfsmotor-Aura einem jungen Publikum gefallen wollte und sollte. So kam zum Nutzfahrzeug das Spaßgerät – auch fürs Extreme.
Unser Wheeler ist – first and foremost – ein Mountainbike. Der Heckmotor sorgt dafür, dass eine bewährte und gewohnte Rahmenform zum Einsatz kommen kann. Das schafft Vertrauen. Der vollgefederte
Twentyniner verfügt über 100 mm Federweg vorne und hinten, bereitgestellt von souverän arbeitenden Rock-Shox-Federelementen. Was die "Krallen" angeht, vertraut der Wheeler-Falke auf den Grip
zweier Schwalben: Die Rocket Rons sind sehr berechenbar und haben zusammen mit den gut dosierbaren Magura MT4 Bremsen mit ihren 180-mm-Scheiben die Fuhre jederzeit sehr gut unter Kontrolle. Auch
der unprätentiöse geschwungene Lenker überzeugt, und mehr noch tun das die ergomomischen Griffe. Bergab im Trail bietet das Wheeler im Grunde Mountainbiken pur, das höhere (E-Bike-)Gewicht macht
sich kaum bemerkbar. Es ist nicht das wendigste Bike, dafür vermittelt es aber viel Stabilität und Sicherheit auch in rauem Terrain.
Was das E-Falcon zu etwas ganz Besonderem macht, im Erscheinungsbild wie im Charakter, ist der Bion-X-Motor der D-Serie. Zugegeben: diese große Scheibe ist in ihrer Optik etwas
gewöhnungsbedürftig. Doch gilt in diesem Falle der Gestaltungsleitsatz "Form follows function" für ein Produkt, das zielgerichtet für optimale Performance am Berg entwickelt wurde – eben für
E-Mountainbikes. Der einerseits sehr schmal bauende, andererseits im Durchmesser deutlich vergrößerte Motor der D-Serie ermöglicht laut BionX, dass sich die magnetischen Komponenten mit höherer
Tangential- bzw. Umfangsgeschwindigkeit bewegen. Dadurch ist weniger elektrische Kraft nötig, um das Drehmoment zu erzeugen, und so ergibt sich auch ein leichterer und zugleich zugkräftigerer
Antrieb. Das großflächige Gehäuse weist mehrere Vorteile auf: Es leitet entstehende Wärme leichter und schneller ab, so dass auch im harten Einsatz der Motor nicht übermäßig heiß läuft und
dauerhaft höhere Leistung bietet. Und da die Speichen beim D-Motor nicht am Gehäuse befestigt sind, der "Motorblock" also nicht als tragendes Teil fungiert, kann man es entsprechend aus leichtem
Kunststoff fertigen, der für das verhältnismäßig günstige Motorengewicht von 3,9 Kilo verantwortlich ist. Die Speichen wiederum laufen seitlich am Motorgehäuse vorbei und setzen im Nabenzentrum
am Speichenflansch an. Aufgrund ihrer relativen Länge – deutlich länger als bei üblichen Nabenmotoren – ergibt dies auch ein spürbar dynamischeres Laufrad mit mehr vertikalem Flex. Dies bedeutet
mehr Komfort und mehr Traktion auf dem Trail für den sportlich orientierten Fahrer.
Man sieht: BionX hat sich sehr, sehr viele Gedanken über seinen E-Mountainbike-Motor gemacht. Allerdings wäre der Kabelführung zwischen Akku und Antrieb ein etwas professioneller wirkendes
Erscheinungsbild zu wünschen.
Leistungsmäßig ist das Wheeler E-Falcon mit seinem D-Motor ein erhabenes E-MTB. Das eher gutmütig wirkende Fully ist sofort hellwach, wenn die Unterstützung aktiviert wird. Sobald Schub gewünscht
wird, ist dieser Schub auch da. Das hat durchaus etwas Raubtierhaftes, auch wenn es sich in einem berechenbaren, kontrollierbaren Rahmen hält: die 50 Newtonmeter maximales Drehmoment lassen schön
grüßen. Für Fahrer, die gewohnt sind, dass der Motor "angestupst" werden will, kann es da anfangs schon einen gehörigen Aha-Effekt geben.
Sobald man aber auf das direkte Ansprechverhalten gefasst ist, macht dieser Vortrieb natürlich richtig Laune. Wie von einer mächtigen Geisterhand geschoben, geht es den Berg hinauf. Und der natürliche Spieltrieb verlangt bald, dass man die ganz neuen Möglichkeiten dieser Schubkraft in allen sich bietenden Situationen und Geländevariationen ausprobiert.
Als spannend erweist sich richtiges Geländefahren mit dem Wheeler E-Falcon auch aufgrund der komplexen Klaviatur der Gänge. Denn bei diesem Bike paaren sich ganz normale 30 Gänge der XT-Schaltgruppe mit den vier Unterstützungsstufen. Das ergibt ein Potpourri an Antriebsvariation, für das man in manchen Fahrsituationen dann erst mal gute Lösungen finden muss: Man lernt regelrecht neu schalten! Wie lässt sich ein sehr steiler, langer Gegenanstieg direkt im Anschluss an eine schnelle Abfahrt erstürmen? Bei unserem dritten Versuch war schließlich die richtige Schalt- und Schubkombi gefunden, mit der das endlich problemlos funktionierte. Wer solche Herausforderungen mag, hat mit der Kombi aus Mehrfach-Kettenradgarnitur und dem BionX-Hinterradmotor jede Menge spannende Erlebnisse vor sich. Und wer eher schnell auf Schotterwegen Höhe gewinnen will, ist mit dem Antriebsmenü mehr als gut gerüstet.
Irgendwann einmal fällt der Blick auf eine kleine Daumenwippe am Lenker: die Fernbedienung für je vier Unterstützungs- und Rekuperationsmodi. Plus ein roter Knopf für die Schiebehilfe! – Wozu das
denn? Kann es sein, dass man trotz aller gegenteiligen bisherigen Erfahrungen eventuell auch mal eine Schiebehilfe im Gelände brauchen kann? Schafft man es, diesem Motor Grenzen aufzuzeigen? Wir
haben es im Regensburger Umland immer wieder darauf angelegt – lange vergeblich, keine Steigung steil genug. Schließlich aber kam uns der Wiesenansteig zum Adlersberg hinauf in den Sinn, den
jeder Regensburger Mountainbiker kennt und wo – bislang unmotorisiert – nur die hochkommen, die ganz vorn überm Lenker hängen, mit der Sattelspitze dort, wo es weh tut. In diesem Hang, im
allerletzten Steilstich, kapitulierte der Motor in würdevoller Stille. Aber das machte ihn nach seiner bis dahin makellosen Performance nur noch sympathischer.
Fazit:
Das E-Falcon mit D-Series-Motor ist eine Offenbarung für bergbegeisterte E-Biker. Wer in Zeiten, in denen an E-Bikes die Akkus und Motoren möglichst gut versteckt werden, Bedenken aufgrund des großen Motorgehäuses hat, dem empfehlen wir: Einen Smiley draufmalen – denn das vermittelt am besten, was diese Scheibe beim Fahren hervorruft.